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Stadthalle Design
Stadthalle
Möbel

Große Kunst im Hinterzimmer

Kunst am Bau kann auch Kunst vor dem oder im Bau sein. Die Wiener Stadthalle hat sich in den letzten Jahren, auch was Kunstpräsentation anlangt, neu aufgestellt. Die großen Werke von Wander Bertoni und Fritz Wotruba, die extra für die Halle produziert wurden, sind an neue, markante Plätze gewechselt und für die Öffentlichkeit auch wahrnehmbar, wenn man kein Hallenticket hat. In der Halle sind freilich Räume zu entdecken, die man normalerweise nicht zu sehen bekommt, die aber wichtige Etappen heimischer Kunst- und Designentwicklung markieren. Im Rahmen der Vienna Design Week kann man diese Räume nun besichtigen.

Dass die Stadthalle fast eine kleine Stadt in der Stadt ist, konnten Journalisten aus der ganzen Welt zu Zeiten des Song Contest entdecken, für den ja nicht nur die große Halle D, sondern alle Nebenhallen und Administrationsflächen genutzt wurden.

Skulptur Bewegung von Wander Bertoni

Stadthalle

Wander Bertonis große Nirostaplastik „Bewegung“ wurde neu im Sichtbereich zwischen den Hallen D und E positioniert

Wer durch die verzweigten Gänge der Halle wandelt, stößt immer wieder auf Kunst am Bau, etwa Carl Ungers großes Orientierungsmosaik aus Stein und Glas, das den Komplettgrundriss der großen Veranstaltungshalle in künstlerische Form auflöst. Unger hatte im Rahmen des Wiener Kunst-am-Bau-Auftrags aus der Mitte der 1950er Jahre, als man die Halle nach den Plänen von Architekt Roland Rainer erbaute, auch ein riesiges Bassin aus buntem Kunststein geschaffen, das mittlerweile zerstört ist.

Art Club verewigt sich in einem Bau

Zahlreiche Künstler, fast alle aus dem Umkreis des Wiener Art Clubs, den Albert-Paris Güsterloh in den 1950er Jahren ins Leben gerufen hatte, haben die Stadthalle mit ihren Werken zu einer Wegmarke heimischer Kunstgeschichte nach 1945 gemacht. Allen voran Herbert Boeckl, der eines seiner größten Werke für einen eigentlich sehr verborgenen Raum geschaffen hat, den Empfangsraum der sogenannten Ehrenloge hinter der Südtribüne der Halle D.

Stadthalle Design

ORF.at/Gerald Heidegger

Carl Ungers „Orientierungsplan“ im Foyer des Eingangsbereichs des Büroteils

Die Wiederentdeckung des Stadthallendesigns

Mittlerweile hat die Führung der Wiener Stadthalle diesen Ort nicht nur als Bar renoviert, sondern ihn zu einer Art kleinem Museum für die Kunst- und Designentwicklung nach 1945 gestaltet. Zu sehen ist darin nicht nur Boeckls zwölf Meter langer und zwei Meter hoher Wandteppich.

Ornamente

Eva Kelety

Marmorornamente an der Südseite der Stadthalle von Heinz Leinfellner. Die Räume dahinter hat man behutsam modernisiert.

Der Raum versammelt auch die mittlerweile zu Designklassikern mutierten Möbel, die Rainer für die Stadthalle entworfen hat, unter anderem den Stapelstuhl (mit der obligaten Armlehne) und den Stadthallen-Kleiderständer, der ja seit der Aussortierung aus der Halle bis zu Auktionen nach London weitergereicht wurde.

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ORF.at/Gerald Heidegger

Roland Rainers Stapelsessel im renovierten Empfangsraum zur Ehrenloge

Boeckls Wandteppich zieht eine Spur durch die heimische Kunstgeschichte - und teilweise durch die Stadt Wien. In der ihm eigentümlichen Sturheit wollte Boeckl für den Teppich nicht nur einen Entwurf schaffen, der dann von einer Manufaktur nach der Ausgangsidee des Künstlers umgesetzt werden sollte. Nach Boeckls Ansicht musste der Künstler in jeden Arbeitsschritt in der Herstellung dieses Teppichs, für den er 1954 den Auftrag bekommen hatte, eingebunden sein.

Deshalb entschied er sich bei der Umsetzung seines ersten Teppichs auch nicht für die damals vorgesehene Werkstatt, die halb staatliche Wiener Gobelinmanufaktur, sondern wandte sich an seinen Wiener Art-Club-Kollegen Fritz Riedl, der mit seiner damaligen Frau Johanna Schidlo als freier Weber arbeitete.

Annäherung in vielen Arbeitsschritten

Boeckl näherte sich seinem Auftrag in mehreren Etappen an, zunächst mit einer zwei Meter langen und 40 Zentimeter hohen Aquarellstudie, danach mit einer Papiercollage und schließlich mit einer originalgroßen Kartonvorlage, die heute im „Boeckl-Saal“ der Technischen Universität Wien präsentiert wird.

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ORF.at/Gerald Heidegger

Wiens vielleicht edelste Bar mit Boeckls Menschheitsallegorie an der Wand

Für die Herstellung des Teppichs fertige eine Wiener Textilschule einen eigenen Webstuhl an, den man im Untergeschoß der Akademie der bildenden Künste, gleich ums Ecks von Boeckls legendärem „Abendaktsaal“ aufstellte. „Meine Zeit ist ausgefüllt mit der Gobelinarbeit für die Gemeinde Wien“, notierte Boeckl, der sein Büro auch gleich neben dem Webstuhl aufschlug und selbst beinahe täglich den Arbeitsprozess mit den Webern begleitete. Boeckl lernte von der Arbeit der Weber und adaptierte seinen Entwurf mit dem Fortgang der Webarbeiten. Was am Ende rauskam, war tatsächlich ein Work in Progress, das sich in einem abgründigen, zwölf Meter langen Gobelin-Tableau verewigte.

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ORF.at/Gerald Heidegger

Detail aus Boeckls Wandteppich

Von der Ölmalerei auf den Webstuhl

Dokumente der Zeit haben festgehalten, wie mühsam der Prozess der Arbeit gewesen sein muss, zwang doch der impulsive Boeckl die Weber immer wieder auch dazu, Elemente, mit denen er nicht zufrieden war, aus der Gesamtkomposition rauszuschneiden und neu zu weben. Boeckl hatte quasi die Technik der Ölmalerei samt deren dauernden Überarbeitungs- und Verfeinerungsoptionen auf ein komplett anderes Medium übertragen.

Im Herbst 1957 war das Auftragswerk, das am Ende den Titel „Die Welt und der Mensch“ trug termingerecht fertiggestellt. Erster öffentlicher Besichtigungsort des Teppichs war die Weltausstellung in Brüssel 1958, wo das Werk im Pavillon von Karl Schwanzer (der ja später dann ein Teil des Gebäudes des 20er-Hauses werden sollte) präsentiert wurde. Da in den Zeitraum der Weltausstellung aber auch die Eröffnung der Stadthalle fiel, wurde der Teppich für ein paar Tage von Brüssel nach Wien und (schließlich wieder retour geflogen), um bei der Stadthallen-Eröffnung an seinem eigentlich Bestimmungsort gezeigt zu werden.

Tapisserie „Der Mensch und seine Welt“, Herbert Boeckl.

Eva Kelety

Boeckls Monumentalwerk im leeren Raum der Stadthalle. Einmal muss das Werk ums Eck geleitet werden.

Immer wieder wurde der Teppich von seinem Bestimmungsort gelöst. Zunächst für eine Präsentation auf der Wiener Messe, dann auch für die Zurschaustellung auf der fünften Kunstbiennale in Sao Paolo.

Hinweis

Die Kunstwerke der Stadthalle sind im Rahmen der Vienna Design Week in Führungen am 29. und 30 September jeweils um 19.00 Uhr zu erleben.

Boeckls „Glaubensbekenntnis“

Boeckl selbst bezeichnete das Werk, das sich wie eine bis ins äußert Absurde gehende Allegorie auf die Zerrissenheit des menschlichen Lebens lesen lässt, als sein „Glaubensbekenntnis“ und auch sein „bestes Stück“. In der Stadthalle wirkt das Werk mit dem Schicksalsrad-Motiv ein wenig so, als wäre es von einer Schriftrolle in die Enge dieses Pausenraums, wo man es einmal um die Ecke spannen musste, heruntergezogen. Monumentalität trifft bei dieser Präsentationsform auf eine eigentümliche Intimität, wie der Besucher erleben kann. Der Stadthalle bleibt zu wünschen, dass sie dieses Vermächtnis eines der wichtigsten heimischen Künstler des 20. Jahrhunderts in einer dauerhaften Form öffentlich machen kann.

Gerald Heidegger, ORF.at

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